Sonntag, 20. Oktober 2013

Kurzgeschichte - Sei gut zu dir



Ein Waldarbeiter lebte mit seiner Familie etwas entfernt vom Dorf. Er arbeitete Tag ein und Tag aus. Morgens, sobald die Sonne aufging, ging er in den Wald und erst wenn es Dunkel wurde, ging er wieder nach Hause.
Die Frau wartete dann schon mit dem Abendessen auf ihn und danach ging es dann auch gleich ins Bett. Jeder Tag lief genauso ab.
Eines Tages kam er wieder in den Wald. Er fällte im Laufe des Tages mehrere Bäume. Er wollte gerade den letzten Baum für diesen Tag fällen, da kam plötzlich aus dem Baum eine Gestalt und sagte zu ihm: „Sei gut zu dir.“ Der Mann erschrak. Das war ihm ja noch nie passiert, dass jemand aus dem Baum sprach. Als er die Axt erneut erhob, um den Baum zu fällen, kam wieder diese Gestalt und rief: „Sei gut zu dir.“
Der Mann war vollkommen irritiert, und weil es schon sehr dunkel wurde, beschloss er, nach Hause zu gehen.
Den ganzen Abend musste er an diese Gestalt und über den Satz nachdenken. „Sei gut zu dir.“ Was soll das bedeuten, fragte er sich. Am anderen Tag ging der Mann wieder in den Wald.
Und wie er wieder den Baum fällen wollte, kam wieder die Gestalt und machte die gleiche Aussage: „Sei gut zu dir.“
Da wurde es ihm allmählich zu blöd und er dachte sich, dann nehme ich eben einen anderen Baum und lasse diesen stehen. Er ging zu einem anderen Baum und wie er den Baum fällen wollte, bekam er plötzlich starke Schmerzen und fiel um. Bewusstlos lag er auf den Waldboden.
Die Frau machte sich an dem Abend große Sorgen, weil es schon dunkel wurde und ihr Mann nicht nach Hause kam. Sie ging mit ihrem ältesten Sohn in den Wald, um ihn zu suchen. Sie fanden ihn und brachten ihn nach Hause.
Der Sohn lief danach sofort ins Dorf, um einen Arzt zu holen. Der Arzt stellte einen kleinen Herzinfarkt fest, gab ihm die nötigste Behandlung und verordnete strenge Bettruhe. Damit war der Mann überhaupt nicht einverstanden. „Das geht nicht.“, sagte der Mann. „Wer fällt jetzt meine Bäume?“ Der Arzt sagte: „Du brauchst jetzt strenge Bettruhe. Du musst dir jetzt jemand anderes suchen, der deine Bäume fällt. Sei einfach mal gut zu dir.“ „Hm“, sagte der Mann. „Der hat ja leicht Reden. Der muss ja auch nicht meine Arbeit verrichten.“
Die Frau beruhigte ihn und sagte, dass er sich keine Sorgen machen solle. Sie würde schon einen Ersatz für ihn finden. Sie ging ins Dorf und erkundigte sich, ob jemand Arbeit bräuchte und die Bäume fällen könnte. Es meldeten sich 2 Männer, die gerne diese Arbeit machen wollten.
Der Waldarbeiter konnte sich jetzt erholen, während seine Arbeit weiter lief. Ihm wurde immer bewusster, dass jeder Mensch ersetzbar ist. Es geht immer weiter, auch ohne ihn. Ihm wurde klar, dass es wichtig ist, auf sich zu achten, sich nicht zu übernehmen. Wenn er eine Arbeit nicht verrichten kann, dann kommt ein anderer, der diese Arbeit weiterführen kann.
Wenn man sein Leben lang nur schwer arbeitet und dabei sich sehr viel dem Stress aussetzt, wenig auf seine Gesundheit achtet, dann hat man von seinem Leben nichts gehabt.
Also: „Sei gut zu dir.“

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